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Weinbergshäuser

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Schitzehitte

Trulli

Bildergalerie

Weinbergshäuser mit Steinkuppeln-Trulli

In Rheinhessen und angrenzenden Gebieten gibt es ca. 40 Weinbergshäuser mit Steinkuppeln und Gewölben. Seit etwa 1960 spricht man immer weniger von Weinbergshäusern, Schutzhütten, Wingertheisjer oder Schitzehitte sondern von Trulli oder in der Einzahl von Trullo. Die Begriffe Trullo/Trulli stammen aus Apulien/Italien und bezeichnen dort die aufgesetzten Kuppeln von Häusern einfacher Leute. Die Kuppeln dort sind mit Steinplatten ohne Mörtel aufgeschichtet und ein Abschlussstein/Zippo schließt das Gewölbe ab.
In Rheinhessen sind die Kuppeln und Gewölbe gemauert. Dies war hier notwendig, weil die vor Ort gefundenen Steine nicht gleichmäßig sind.
Ob es ein Zusammenhang zwischen den italienischen und den rheinhessischen Trulli gibt ist nicht erwiesen, ist fraglich.
Nachfolgender Bericht über das "Weiße Häuschen" von Wolfgang Bickel klärt auf.
Wer umfassend über die archaisch erscheinenden Weinbergshäuser informiert werden will, der sollte das Buch von Wolfgang Bickel“ Weinbergshäuser: Urformen der Baukunst im Südwesten Deutschlands, lesen.

 

 

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250 Jahre Weißes Häuschen


von Wolfgang Bickel

 

Ein bemerkenswerter Bau und die Sage von seiner Entstehung

Längst ist das Flonheimer „Weiße Häuschen“ auf dem Schneeberg, zumal als „Trullo“, ein Markenzeichen der Region. Zu den Voraussetzungen hierfür gehören die ungewöhnliche Form, eine für Weinbergshäuser imponierende Größe und der Standort, der es weithin sichtbar erscheinen läßt. Hinzugekommen war eine seit der Mitte des 20. Jahrhunderts verbreitete Geschichte von wandernden Steinbrucharbeitern aus Apulien, die die runden Weinbergshäuser errichtet und auch einen Namen dafür hinterlassen hatten, nämlich „Trulli“. Name und Geschichte gefielen, und so stand der „Flonheimer Trullo“ Pate für die Bezeichnung der runden, gewölbten  Weinbergshäuser Rheinhessens. Inzwischen ist das Weiße Häuschen Ausflugsziel geworden; auf gerodetem Weinbergsgelände davor wurden Tische und Bänke aufgestellt.

Das Jubiläumsjahr der Errichtung dieses in jeder Hinsicht hervorragenden Baues - die Inschrift nennt das Baujahr 1756 - ist ein Anlaß, die Entstehung des Hauses und die Geschichte von den Steinbrucharbeitern näher zu betrachten. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: der Bautyp war nicht so ungewöhnlich wie er erscheint, die Geschichte von seiner  Entstehung ist eine hübsche Sage, die die wirklichen Verhältnisse eher verschleiert als erhellt.

 

Zur Geschichte der Kragkuppelbauten in den Weinbergen

Soweit die Nachrichten über den Weinbau zurückreichen, hören wir von Türmen und Hütten in den Weinbergen (z.B. Jesaja 5, 1ff). Frühe bildliche Darstellungen zeigen, daß sich zwei Grundtypen herausbildeten, um die sich die Vielfalt gruppieren läßt: die in Gemeindeeigentum befindlichen Schützenhäuschen und die von den jeweiligen Eigentümern errichteten Weinbergshäuser. Schützenhäuschen werden an Stellen errichtet, von denen aus man weite Teile des Weinbergsgeländes und insbesondere die Wege gut überblicken kann. Diese Häuschen sind durchgängig klein und karg. Es gibt auch gemeindeeigene große Schutzbauten, aber sie sind die Ausnahme. Die von den Eigentümern gebauten Weinbergshäuser stehen im Wingert, oft im oberen Teil, sind zuweilen mit langen Bänken für Besitzer und Arbeiter versehen, manchmal komfortabel gestaltet und verschließbar, dienen mancherorts der Aufbewahrung von Gerät.

Das vielleicht älteste Bild eines Weinbergshauses, das sowohl dem Weinbergsschützen als auch den Arbeitern diente, ähnelt dem Flonheimer auf verblüffende Weise. Es ist auf dem März-Bild im Stundenbuch des Herzogs von Berry aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts abgebildet. Zwar bezieht sich der Maler auf  Vorbilder in Zentralfrankreich, aber der Typus des runden Wartturms mit Steinkegeldach war in jener Zeit auch hier am Mittelrhein verbreitet. Beispiele stehen in Ingelheim, Erbenheim, Zwingenberg.

Als der Eigentümer des Weinbergs auf dem Schneeberg 1756 ein Weinbergshaus errichten ließ, entschied er sich mit seinem Maurermeister für eine Form, wie sie den Maurern von Brunnen-, Schmiedehäusern und Warten her vertraut war. Vielleicht kannte man nicht die vielen, nach gleichem Prinzip errichteten Weinbergshäuser in den Gemarkungen von Westhofen, Gundersheim, Bissersheim, weil das Betreten fremder Gemarkungen außerhalb bestimmter Wege verboten war. Das ist auch ein Grund, weshalb die Trullo-Sage von der Einzigartigkeit ausgehen konnte - man weiß in fremden Gemarkungen nicht Bescheid. Wenn auch die Kuppelkontur stark variiert, zumal, wenn nach einem Einsturz neu aufgemauert werden mußte (Reinheim, St. Johann), so folgen doch alle im großen Ganzen dem selben Bauprinzip. Noch im 20. Jahrhundert wurden auf diese Weise  z. B. Brunnenhäuser gebaut.

Der Hauptteil der runden, gewölbten Weinbergshäuser unserer Region entstammt dem 18. Jahrhundert. Einige sind inschriftlich datiert wie das Wendelsheimer von 1763, andere durch Rechnungen wie die Westhofener 1766.

Die meisten von ihnen sind Weinbergsschützen-Hütten, die notwendig wurden, nachdem die Verschärfte Schützenordnung der Kurpfalz von 1747 angesichts der Zerstörungen der Weinberge durch Holzdiebstahl und andere Nutzungen eine ganzjährige, ganztägige und auch nächtliche  Bewachung der Weinberge vorgeschrieben hatte. Errichtet wurden die zahllosen kleinen Schützenhäuschen mit Tonnen- und Kuppelgewölben, die im Hinblick auf das zeitweilig unbewachte Feuer, an dem sich der Schütz wärmte, feuerfest sein mußten und auch deshalb kein Bauholz enthalten durften, weil dies ein Anlaß gewesen wäre, sie abzubrechen.

Zur gleichen Zeit entstanden die beiden privat errichteten Häuser in Wendelsheim und Flonheim. Der Bauherr des Weißen Häuschens ist nicht bekannt, aber er läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit erschließen. Die Initialen „H.Z.“ könnten nämlich auf Johannes Zimmer (1703 - 1781), den Wirt des Gasthofes Zum Engel hinweisen. Das Portal seines Hauses trägt u.a. die Inschrift „H Z 1742“.

Beide Weinbergshäuser sind als  Privatbauten in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich, denn beide zeigen deutliche Anklänge an die „gehobene Architektur“, wie sie in den Ortschaften gepflegt wurde: die Eigentümer ließen die Jahreszahl der Erbauung anbringen und verewigten sich mit den Initialen ihres Namens, sie ließen auf den schmucklosen Baukörper einen modischen Zierknauf setzen und wählten Fensteranordnungen und  -gestaltungen, die das Weiße Häuschen einem Belvedere, das Haus über der Rübenmühle einem Gartenhaus annäherten. Es war ungewöhnlich, daß der Bauherr des Weißen Häuschens anstelle der üblichen drei Fenster fünf wünschte und noch vier giebelförmige in der Kuppel dazu. Die untere Fensterreihe ist darauf angelegt, einen umfassenden Rundblick zu gewähren; doch muß man auf die Bank steigen, wenn man hinaussehen will - das unterscheidet die Funktion  dieser Fenster von denen der Schützenhäuschen. Das Motiv der Dreiecksfensterchen wurde von Schmiedehäusern und Warten übernommen. Dort dienen sie als Rauchabzug und zur Trockenhaltung der Innenschale der Gewölbe. Eine umlaufende Bank wurde aufgemauert, die etwa acht Personen Platz bietet. Sie setzt bei der jeweiligen Benutzung, sei es, wenn die Arbeiter hier Schutz vor Regen und Sonne suchten, sei es, daß der Besitzer sich hier mit Familie und Freunden einfand,  soziale Gleichrangigkeit voraus; man saß nicht mit jedem auf einer Bank. Wenn nun auch manches an dem Haus zu den Gepflogenheiten des 18. Jahrhunderts gehört, bestimmend blieb hier wie in Wendelsheim die kegelförmige Gestalt des runden Kuppelbaues, eine Urform der Baukunst, die an die ältesten bekannten Hausformen erinnert.

 

Vom Archaischen geht immer eine Faszination aus. Es wirkt in seiner Einfachheit  überzeugend, in seiner Urtümlichkeit inmitten moderner Bauten geheimnisvoll. Sein Anblick entzündet die Phantasie. Man wünscht sich eine Einordnung in Bekanntes, möchte wissen, wie diese archaischen Gebilde in die moderne Welt gerieten.

Rätselhaft Erscheinendes zu erklären, ist die Aufgabe der Sage. Zu ihren Motiven gehört, daß Personen von fernher kamen oder der Teufel erschien, daß es noch Spuren von deren Anwesenheit gibt, obwohl sie schon lange wieder verschwunden sind. Wenn man das weiß, dann beunruhigt das Rätselhafte nicht weiter. Sagen aber entstanden nicht nur in früheren Zeiten. Einer Sage aus dem 20. Jahrhundert verdankt das Haus auf dem Schneeberg die Bezeichnung „Trullo“, womit das Fremdartige einen entsprechend fremdartigen Namen erhielt, der seinerseits die Wahrheit der Sage zu bestätigen scheint.

 

Die Trullo-Sage

Wer die vergleichbaren Weinbergshäuser in dieser Landschaft nicht kennt - immerhin sind es fast fünfzig - und auch die entsprechenden Warten und Befestigungs- und Kirchtürme nicht bewußt wahrgenommen hat und sich fragt, wie es denn zu solchen altertümlichen Formen kommen konnte, erhielt mit dieser Sage eine Antwort, die in vielerlei Hinsicht befriedigt. In ihr ist von Ferne, vom Süden, von Unterwegssein, von Spuren-Hinterlassen, von Heimweh die Rede ist. Es gehört zum Erzählstil der Sage, das sehr Fremdes und Altertümliches von weither gekommen sein muß. Sie verlegt den Ursprung des Rundbaues, der in Mitteleuropa in der Bronzezeit liegt, in die geographische Ferne, in den äußersten europäischen Süden. Hierzu kombiniert die Sage einzelne, ursprünglich nicht miteinander verbundene Nachrichten.

Hilfreich bei der Entwicklung der Trullo-Sage war, daß im Zusammenhang mit der Italien-Reisewelle der 1950er Jahre die Kragkuppelgehöfte Apuliens ins Blickfeld gerieten. Als in den 1960er Jahren versucht wurde, den runden Kragkuppelbau auch begrifflich von den anderen Weinbergshäusern zu unterscheiden, benutzte man die apulische Bezeichnung „Trulli“. Damit war die Verbindung hergestellt, und angesichts der dort wie hier an zwei Weinbergshäusern und zwei Brunnen vorhandenen Kuppelknäufe lag es nahe, aus der Ähnlichkeit eine Abhängigkeit abzuleiten, um dem „Geheimnis der Flonheimer Trulli“ auf die Spur zu kommen.

Als Überträger kamen Personengruppen in Frage, die mit Steinen umgehen, und das waren in Flonheim vor allem Steinbrecher und Steinmetzen. Wandernde Steinbrecher also hätten die Form mitgebracht und als Zeichen ihrer zeitweiligen Anwesenheit hinterlassen. Genährt werden konnte dieses Motiv durch zwei Fakten. Seit den 1950er Jahren war bekannt, daß beim Bau der alten Flonheimer Augustinerchorherren-Kirche am Anfang des 12. Jahrhunderts Steinmetzen aus der Lombardei mitgearbeitet hatten. Zum andern gab es im Umkreis aus Italien eingewanderte Familien, die noch heute im Baugewerbe tätig sind. Wenngleich diese Zuwanderung aus Norditalien und erst nach der Errichtung der Weinbergshäuser geschah, ein Impuls scheint von der Nachricht ausgegangen zu sein. Inzwischen wurde die Sage durch charakteristische Elemente erweitert: die Steinbrucharbeiter hätten Heimweh bekommen und Trost im Alkohol gesucht, seien verarmt und hätten sich nun die kleinen Häuschen gebaut, weil das Geld für größere nicht reichte. So etwas las man in der Zeitschrift monumente. Andere wissen zu erzählen, die Häuser seien dem Spieltrieb der Steinbrucharbeiter entsprungen, weil sie nicht recht ausgelastet gewesen seien. Das konnte man aus dem Fernsehen erfahren. Mühelos läßt sich ein Katalog derartiger sagenhafter Spekulationen erstellen.

 

Kennzeichnend für die Sage ist ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Sachverhalten. Die Trullo-Sage ist, was ihre historische Genauigkeit betrifft, leicht zu widerlegen: Es wurde bislang kein Beleg für die Anwesenheit apulischer Steinbrecher gefunden. Steinbrecher haben zudem, ebenso wie Steinmetzen und Maurer, eigene Tätigkeitsbereiche, und es wurde streng darauf geachtet, daß keiner dem andern ins Handwerk pfuschte. Angesichts der Zunftordnungen des 18. Jahrhunderts war es ausgeschlossen, daß ortsfremde Steinbrecher ein Haus errichteten.

Dies ist eine rationale Argumentation, die auf andere Bedürfnisse antwortet als die Sage, weshalb man auch Sagen nicht widerlegen kann. Sie sind von nüchternen Erwägungen so weit entfernt, daß zuweilen absurde Folgerungen gezogen werden. Zu ihnen gehört, vom Südwesten Rheinhessens als vom „Land der Trulli“ zu sprechen, denn das ist Apulien. Es ist riskant, auf einem Flaschenetikett zu schreiben, es sei „Wein aus dem Land der Trulli“, wenn als Abfüller ein Flonheimer Winzerbetrieb genannt ist. Wenn nun - in einer Fernsehsendung im Frühjahr 2005 -  sogar vom „quadratischen Trullo“ in Siefersheim gesprochen wird, zeigt sich, was ungezügelte Phantasie in dieser Hinsicht anzurichten vermag.

Das „Weiße Häuschen“ ist zum Symbol für die Weinlandschaft Rheinhessen geworden. Nur so ist es zu verstehen, daß sein Umriß das Flaschenetikett eines Gundersheimer Winzers ziert, obgleich in der dortigen Gemarkung vergleichbar eindrucksvolle runde Kragkuppelbauten stehen.

 

Beides, Entstehung der Sage und Entwicklung zum Symbol, sind aber ernstzunehmende Vorgänge, weil sie auf bestimmte Qualitäten des Bauwerks verweisen und tiefe  Bedürfnisse ansprechen. Es ist die besondere Faszination, die von archaischen Rundbauten ausgeht. Einer alten Überlieferung nach findet der Mensch im Rundbau jene Kraft wieder, die ihm durch das Leben in modernen viereckigen Häusern geraubt wurde. Von den selben Erfahrungen beim Aufenthalt in Rundbauten geht vermutlich die Behauptung aus, in runden Räumen könne es der Teufel nicht aushalten, weil er immer in Winkeln hocke. Zur Trullo-Sage gehört das Motiv der Sehnsucht nach dem Süden, wo das Leben einfacher gelingt als hier. Aus alledem spricht der Wunsch nach einem Zustand, den der Kreis als Symbol bezeichnet und den man mit „Vollkommenheit“ umschreiben kann.

Die besondere Qualität des Weißen Häuschens besteht darin, durch seine spezifische Gestalt und die exponierte Situation derartigen Bedürfnissen entgegenzukommen.

  

 

Lit. Wolfgang Bickel, Eine südwestdeutsche Gruppe von Kragkuppelbauten: Architectura 10, 1980, S. 97ff;

ders., Weinbergshäuser, Urformen der Baukunst im Südwesten Deutschlands, Worms 2002, insbes. S. 62ff;

(hg), Der Wein und die kleinen Italiener: monumente 12, Heft 9/10 2002, S. 60f




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